Klassik an der Donau 2019: Packende Vielschichtigkeit in „sprechender“ Artikulation
„Mozarts Zaubertöne zeigen uns in den Finsternissen dieses Lebens eine lichte, helle, schöne Ferne, worauf wir mit Zuversicht hoffen.“ Dieses Zitat von Franz Schubert stammt aus dem Jahr 1816, als Hungersnöte und Kriegsfolgen den Kontinent plagten. Auch in unserer von Zukunftsängsten geprägten Zeit kann uns Mozarts Musik mit ihrer Anmut, Schönheit und seelischer Wärme Kraft spenden.
Das diesjährige „Klassik an der Donau“-Konzert feierte den (neben Johann Sebastian Bach) wohl größten aller Komponisten, Wolfgang Amadeus Mozart. Zu Lebzeiten verehrt, aber auch verkannt, hat er unvergleichliche Leichtigkeit, Anmut, Tiefe und Vollkommenheit in seiner Musik erreicht, so dass die einzigartige Spannkraft seiner Musik ein ganzes Konzertprogramm bis zur Zugabe (die unsterbliche „Kleine Nachtmusik“) mühelos trägt.
Zu Gast in Straubing war dieses Jahr das „Concentus Musicus“-Ensemble unter der Leitung von Stefan Gottfried. Schon die eindrucksvollen historischen Blasinstrumente (Barocktrompeten ohne Ventile, Holz-Traversflöten, fünfsaitige Violonen mit Bünden statt moderner Kontrabässe) kündeten von der Besonderheit des Ensembles. Der entstehende Gesamtklang ist weniger massiv und transparenter als in konventionell üblichen Besetzungen. Gegründet wurde das Ensemble vom 2016 verstorbenen Nicolaus Harnoncourt, der aufgrund seiner intensiven Beschäftigung mit historischen Quellen die „historische Aufführungspraxis“ zunächst für barocke, dann auch für klassische Musik ins Leben rief. Nicht museale Mumifizierung, sondern eine dem „sprechenden“ Charakter der Musik entsprechende Wiedergabe ist dabei das Ziel (wie Harnoncourt in seinem Buch „Musik als Klangrede“ darlegte).
Die Musiker des „Concentus Musicus“ haben dieses Grundprinzip verinnerlicht und setzten es mit höchster Spielfreude um. Differenzierte Artikulation bewirkte größtmögliche Durchsichtigkeit im Zusammenspiel; längere Töne wurden mit dem typischen An- und Abschwellen („Mezza di voce“) gestaltet, kurze Motive plastisch-gestisch geformt, Wiederholungen von Tönen stets mit Spannungsänderungen verbunden. Wie beweglich das Ensemble ist und wie schön sein Piano klingt (nicht zuletzt aufgrund der „historischen“ Besetzung), zeigte es schon mit dem diffizilen, einstimmigen Anfang der „Figaro“- Ouvertüre. Auch die ungewohnte Verzierung in der ersten Tutti-Stelle zeugte vom besonders kreativen Ansatz der Musiker. Leider ist die Fraunhofer-Halle kein idealer Konzertsaal, so dass der Orchesterklang möglicherweise an manchen Stellen im Saal nicht optimal präsent war. Doch das Ensemble kam mit den nicht ganz einfachen akustischen Bedingungen hervorragend zurecht; bis auf wenige Momente, in denen die führenden Violinen den übrigen Stimmen leicht vorauseilten, präsentierte es sich als bestens eingespielte Einheit.
Das frisch-lebendige Jugendwerk der Sinfonie KV 48 (Mozart schrieb es im Alter von zwölf Jahren) wurde packend und mit Freude am Detail präsentiert. In selbstbewusstem Tempo, alles andere als behäbig, schritt das „Andante“ daher; im „Menuett“ überzeugte die bewusste Tempo-Differenzierung zwischen Hauptteil und Trio. Das Finale mit seinem lebhaften Gigue-Duktus (in Matthesons Worten „wie der glatt fortschiessende Strom-Pfeil eines Baches) war mitreißend gestaltet. Das überraschende Ende mit einem eleganten Piano-Nachsatz (nach der eigentlichen Kadenz im Forte) wurde bewusst leicht verlangsamt – ein schöner Effekt!
Wie spannungsvoll Dirigent und Orchester einzelne Pausen gestalten können, zeigte sich beim atemberaubend komponierten Soloeinsatz im Violinkonzert A-Dur: Die Geige setzt ihren erhabenen Gesang völlig frei in die Generalpause des Orchesters. Solist Erich Höbarth begeisterte mit überaus feinsinnigem Spiel und erfindungsreichen Solokadenzen; leider ist zu vermuten, dass sein eher leises Instrument akustisch gesehen nicht im ganzen Saal gleichmäßig „ankam“. Doch sein die innigen Seufzer auskostender instrumentaler Gesang im zweiten Satz und die äußerst graziöse ziedergabe des „Tempo di Menuetto“ (dritter Satz) begeisterten. Das Orchester hatte in diesem Finale besondere Freude an der „Allaturca- Stelle“ mit ihrer Janitscharen- Exotik; die mit dem Holz des umgedrehten Bogens spielenden Bässe sorgten (originalgetreu) für einen perkussiven Effekt.
Als Höhepunkt des Konzerts dann die knapp halbstündige „Prager Sinfonie“, die nach dem „Figaro“ entstand und Anfang 1787 in Prag uraufgeführt wurde. Die ernsthafte langsame Einleitung, die längste Mozarts, mit ihren majestätisch aufwärts rollenden Figuren verdeutlichte sofort das besondere Gewicht des Werks. (Erläuternd wies Maestro Gottfried auf die Doppelbedeutung des italienischen Begriffs „re“ für den Grundton „d“ hin, der auch „König“ bedeutet). Als eines der Hauptwerke des reifen Mozart vereint die Sinfonie Nr. 38 Momente düsterer Tiefe (die auf den „Don Giovanni“ vorausweisen) mit kammermusikalischer Dialogizität und seiner typischen brillanten Leichtigkeit. Das Orchester meisterte die mannigfachen Details engagiert und spritzig: Die raschen Synkopen der Geigen zu Beginn des „Allegro“ (nach denen, in Gottfrieds Worten, „kurz eine Blaskapelle durchs Bild marschiert“), das fast schüchtern wirkende und doch grandios verarbeitete Piano-Motiv im „Andante“ und die kanonartigen Wechselspiele im Finale.
Das Ungewöhnliche eines reinen Mozart-Programms erwies sich in den Augen des begeisterten Publikums als goldrichtig, denn so kam die geniale Vielschichtigkeit dieser Musik bestens zur Geltung. Die erfrischende „sprechende“ spielweise des „Concentus musicus“ brachte den Grundcharakter dieser Musik so gut zum Vorschein, dass die Botschaft und Aufforderung Mozarts aus Hermann Hesses „Steppenwolf“ spürbar wurde: „Das Leben und das Lachen lernen.“