Die Fülle der Eindrücke sowohl für das Ohr als auch für das Auge zieht die Besucher bei den „Klassik an der Donau“-Konzerten stets in den Bann: Die Gestik des Dirigenten, die verschiedenen Einsätze der Orchesterinstrumente, die akustisch wie optisch hervorstechenden Solisten. Bei einer Open-Air-Veranstaltung gehört jedoch der (mitunter sorgenvolle) Blick zum Himmel dazu, gerade wenn unerwartet dunkle Wolkenfronten vorüberziehen.
Diese wirkten jedoch selten so passend wie während der atemberaubend dramatischen Durchführung des 1. Satzes von Mozarts Klavierkonzert B-Dur Nr. 27, in der immer wieder Moll-Eintrübungen die positive Grundstimmung verschatten und die Musik genial-sprunghaft von Tonart zu Tonart wandert. Der Solist Sergei Babayan brachte die Ambivalenz dieses Werkes aus Mozarts letztem Lebensjahr 1791, in dem die Helligkeit der „Zauberflöte“, das Düstere des „Requiems“ und die melodische Meisterschaft des „Klarinettenkonzerts“ vereint sind, äußerst intensiv zum Ausdruck. Er genoss jede Phrase, ob melodisch schlicht oder virtuos komponiert, meißelte Läufe und Arpeggien glasklar heraus und zauberte unglaublich zarte Pianissimo-Effekte. Wunderbar entrückt wirkten die Solo-Kadenzen mit ihren „Versunkenheits-Episoden“ oder (im dritten Satz) mit dem bewegend-schlichten Liedzitat „Komm lieber Mai und mache“. Dezenter Pedalgebrauch und leichte Temponuancen verrieten, dass der armenisch-amerikanische Pianist auch durchaus romantische Gestaltungsmittel – in angemessenem Umfang – schätzt. Die tief emotionale Einstellung Babayans gegenüber Mozart, die bei der Aufführung zu spüren war, beschrieb er einmal so: „Im Moment des Sich-Verliebens passiert Unerklärliches. So ist es, wenn wir einem Stück Musik begegnen, das uns gefangen nimmt.“
Zartheit und Delikatesse
Zartheit und Delikatesse der Darbietung des Soloparts wurden (etwa im langsamen zweiten Satz) vom Orchester einfühlsam übernommen – in der Art eines „überspringenden Funkens“. Die Philharmoniker der Mozartstadt Mannheim begleiteten unter ihrem Gründer Boian Videnoff höchst engagiert, dezent und stilsicher. Das Tempo im Finale bewahrte seinen fröhlichen Charakter, ohne in hastigen Galopp auszuarten, und ermöglichte stets deutliche melodische Durchgestaltung.
Wie gesanglich Mozart seine Klavierpartien komponierte, zeigte sich besonders in der Konzertarie „Non temer, amato bene“ – in dieser tritt ein Solosopran in ein packendes Wechselspiel mit dem obligaten Klavier. Entstanden ist das Werk 1786 quasi als Liebeserklärung an die erste Susanna im „Figaro“, Nancy Storace. Sarah Traubel präsentierte sich in „Klassik an der Donau“ mit kraftvoller, aber auch durchsichtiger Stimme und ausgezeichneter Artikulation (etwa im rollenden „r“). Nach dem tastenden Rezitativ zu Beginn („Ch’io mi scordi di te?“), in dem die Sorge vor dem Verlust des geliebten Partners formuliert wird, setzt das Klavier wie zum Trost mit einer schlichten Melodie ein. Umgekehrt verriet das Klavier zu Beginn der Arie deutlicher als die Gesangsstimme, dass die beruhigenden Worte „non temer“ („ängstige dich nicht“) die eigene Besorgnis des lyrischen Ich nur bedingt kaschieren.
Die Dialoge von Sopran und Klavier waren durchgehend intensiv gestaltet – etwa bei den Seufzern zu „sospiri“ oder in den sich verlierenden und gegenseitig umschlingenden Figurationen bei „l´alma mia mancando va“ („die Sinne schwinden mir“). Die renommierte Mannheimer Sopranistin Sarah Traubel ist übrigens mit diesem Werk Mozarts tief verbunden, wie sogar ihr Autokennzeichen verrät (das die Werknummer „KV 505“ enthält!). Eröffnet wurde das „Klassik an der Donau“-Open Air mit dem kantablen, leicht melancholisch angehauchten „Notturno“ des italienischen Spätromantikers Giuseppe Martucci.
„Umarmung“ um Mozart
Gemeinsam mit der 4. Symphonie Mahlers in der zweiten Programmhälfte entstand so eine Art „Umarmung“ um die Mozart-Werke herum, wie es der Dirigent Boian Videnoff formulierte. In dem duftig-leicht vorgetragen Orchester-„Notturno“ („Nachtstück“) zeigten sich einerseits die Qualitäten der jungen, stets hochkonzentrierten Mannheimer Philharmoniker, zum Beispiel der ausdrucksvolle Streicherklang unter der Führung der klanglich sehr ansprechenden 1. Violinen; andererseits machten die fast stets durchlaufenden Synkopen die Schwierigkeiten der Open-Air-Situation deutlich, in der die verschiedenen Orchestergruppen nicht so leicht wie in einem geeigneten Saal miteinander kommunizieren können. Zu den Tücken des Ortes gehörte leider auch, dass manche Generalpause in der abschließenden Sinfonie durch aufheulendes, von der Straße herüberklingendes Motorengeräusch überdeckt wurde.
Gustav Mahler komponierte aufgrund seiner anstrengenden Dirigententätigkeit hauptsächlich in den Sommermonaten in der Abgeschiedenheit der Natur. Dies ist seiner vierten Symphonie auch anzuhören, in der aber wie stets bei Mahler auch die Komplexität des Lebens in der modernen Welt angesprochen wird. Die Leichtigkeit und die klassizistischen Züge des Werkes sind nämlich bewusst im Grenzbereich zu Einfachheit, Einfalt, Ironie und sogar Verzerrung gehalten. Diese Ambiguität kam in der Interpretation der Mannheimer Philharmoniker unter Videnoff deutlich zum Vorschein. Für den ersten Satz mit dem markanten, später wiederkehrenden „Narrenschellen“-Beginn wählte der Dirigent ein fließendes Tempo, das zwar Zugkraft entfaltete; die biedermeierliche Behaglichkeit der Themen (vgl. die Partituranweisung des Komponisten „bedächtig, nicht eilen“) kam dadurch jedoch nicht vollständig zum Tragen. Auch der hymnischen Erhabenheit des dritten Satzes („Ruhevoll“) hätte ein noch stärkeres Auskosten der Langsamkeit gutgetan – wie es dann auch beim elegischen Oboensolo in Moll zelebriert wurde.
„Das himmlische Leben“
Doch das Rubato im Hauptthema des Kopfsatzes, die Spielfreude bei dem bewusst an Kitsch grenzenden Cello-Seitenthema, der „wienerische“ Schmelz an manchen Stellen oder die Leidenschaftlichkeit etwa vor dem Höhepunkt im 3. Satz ließen das Mahler’sche Universum höchst lebendig erstehen. Plastisch herausgestellt wurden auch die grellen, grotesken Elemente im 1. Satz oder das Gespenstische des Scherzos (mit dem exaltiert-skurrilen Solo der höher gestimmten „Totenfiedel“) – ebenso wie die sich bis zur Raserei steigernden Tempowechsel am Ende des 3. Satzes, nach denen die Hörner unvermittelt zur Umkehr und Beruhigung mahnen.
Ohne große Generalpause folgte dann das (für eine große Symphonie im Jahr 1900) unerwartet schlichte Finale: Das Lied „das himmlische Leben“ über einen Text aus der romantischen Gedichtsammlung „Des Knaben Wunderhorn“. Noch während der Orchester-Einleitung mit dem Thema in der Klarinette betrat Sarah Traubel wieder die Bühne und intonierte den so leichtfüßigen, volksliedartigen Beginn „wir genießen die himmlischen Freuden“. Die idyllische wie auch naive Szenerie eines himmlischen Schlaraffenlandes wurde vom Sopran mit großer Lebendigkeit gestaltet und vom Orchester äußerst transparent begleitet. Nur die Klangfarbe des E-Pianos, das aufgrund der verkleinerten Besetzung einige Bläser ersetzte, stellte sich als nicht ganz ideal heraus – etwa bei den parallelverschobenen Akkorden der Stelle „Sankt Peter im Himmel schaut zu“. Das Ende der Symphonie „entschläft“ sanft mit den tiefsten Tönen von Harfe und Kontrabass, anders als das letzte Textwort „erwacht“ erwarten ließe. Nach einem Moment des Staunens über dieses leise Verklingen löste sich die Spannung im Publikum, das begeistert applaudierte. Eine Stelle aus dem romantischen Text von Brentano und Arnim im Finalsatz trifft besonders den Zauber der Mahler’schen Musik und ihrer berührenden Wiedergabe bei „Klassik an der Donau“: „Kein Musik ist ja nicht auf Erden, die uns’rer verglichen kann werden.“